Die Strategie der Europäischen Union zur Erreichung der Millenniumsziele ist widersprüchlich. Die wirtschaftlichen Interessen der Geberländer stehen oft den Bedürfnissen der Entwicklungsländer entgegen.
Das Erreichen der Milleniums-Entwicklungsziele ist das, wofür ich kämpfen werde – als Mensch, als Bürger, als Politiker und als EU-Kommissar!“, propagiert Entwicklungskommissar Louis Michel im Vorwort des vorläufigen EU-Berichts eine ambitionierte Umsetzung der MDGs. Er ist von der Erreichbarkeit der Ziele überzeugt. Dazu brauche es aber mehr Einsatz und verbindliche Verpflichtungen – in den EU-Institutionen wie in den einzelnen Staaten. Eine Bestandsaufnahme zeigt jedoch große Unterschiede zwischen den EU Mitgliedsländern – und auch die EU selbst steht als Geberin nicht im besten Licht. Maßnahmen für die Zukunft bleiben vage.
Die EU arbeitet derzeit an einem konsolidierten Bericht der Mitgliedsstaaten und der Kommission. Bis Mitte April soll die Kommission Vorschläge erarbeiten. Schwerpunkte einer europäischen Strategie zum Erreichen der MDGs liegen in der Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel, der Kohärenz der verschiedenen Politikbereiche mit der Entwicklungszusammenarbeit und einer Initiative für Afrika, jenen Kontinent, der bei den Entwicklungszielen am meisten nachhinkt. Partikulare Länderinteressen und Dominanz wirtschaftlicher und budgetärer Gesichtspunkte machen jedoch eine Einigung auf konkrete Maßnahmen schwierig.
Das Europäische Parlament versucht daher mit einer ambitionierten Resolution Druck zu machen und konkrete Ziele einzufordern. „Wir forderten die Kommission schon mehrmals auf, einen Plan für die Länder aufzustellen, die noch keinen nationalen Fahrplan zur Erreichung des 0,7%-Zieles haben, und wir diskutieren in den nächsten Monaten eine Mitteilung der Kommission über die Entkoppelung der EZA von Lieferbedingungen, auch da sind einige Länder in Verzug“, skizziert die österreichische EU-Abgeordnete Karin Scheele die Rolle des Parlaments.
Konkrete Maßnahmen zu den strategischen Schwerpunkten werden derzeit in verschiedenen Gremien diskutiert: Aktuell geht es z.B. um neue Zielsetzungen für die schrittweise Anhebung der Entwicklungshilfeleistungen der EU-Mitgliedsstaaten bis 2010 auf den Durchschnittswert von 0,58% des Bruttonationaleinkommens (BNE) und den Mindestwert von 0,51% in jedem Land. Der Verhandlungsprozess ist zäh. Die fehlende Bereitschaft mancher Länder, konkreten Zielvorgaben zuzustimmen, sorgt in der Kommission für Unmut. Zu den Bremsern zählt neben Italien auch Österreich.
Auch neue Finanzierungsmechanismen wurden vorgeschlagen, um dringend benötigte Mittel bereitzustellen und Finanzflüsse vorhersagbarer zu machen, darunter die von den Briten vorgeschlagene „International Finance Facility“ (IFF), eine v. a von Frankreich und Belgien favorisierte Devisentransaktionssteuer, weiters die Kerosinsteuer – auch hier gestaltet sich die Einigung schwierig.
Entscheidend für die Umsetzung werden in allen Bereichen die Beschlüsse des EU-Außenministerrats bzw. des Europäischen Rates sein. Die Planung und Vorbereitung obliegt der Präsidentschaft, die derzeit bei Luxemburg liegt. Eine ausführliche Beschäftigung mit der Thematik zeichnet sich für den Ministerrat am 23. Mai oder eventuell im Juni ab. Dies sollte ausreichend Vorbereitungszeit und Besuche des Kommissars in EU-Mitgliedsstaaten ermöglichen – darunter auch in Österreich Anfang Mai ‘, um diese für die gemeinsamen Vorhaben zu gewinnen. Gelingt eine Einigung bis Juni, könnte dies beim G8-Gipfel in Schottland den Druck auf andere Länder wie USA und Japan erhöhen. Eine gemeinsame EU-Position soll jedenfalls beim UN-Millenniumsgipfel im September eingebracht werden.
Die EU wird voraussichtlich zwar das selbst gesteckte Ziel der Mittelerhöhung bis 2006 auf durchschnittlich 0,39% des BNE und mindestens 0,33% in jedem Land erreichen. Allerdings stellen sich die Fortschritte sehr unterschiedlich dar: Nur acht von 20 europäischen Gebern steigerten im Zeitraum 2000-2003 kontinuierlich ihre Mittel, sechs fielen sogar zurück, darunter Österreich. Zum Teil spielt die Einrechnung von Entschuldungsmaßnahmen in die Quote eine erhebliche Rolle (z.B. lag 2003 bei Frankreich und Belgien der Anteil der Entschuldung an den Hilfsleistungen bei rund 40%). Politische und wirtschaftliche Interessen der Geber statt des Bedarfs der Entwicklungsländer schlagen sich auch in den Fragen des Welthandels zu Buche. Während von einer „Entwicklungsagenda“ in der Welthandelsorganisation WTO gesprochen wird, beharrte die EU auf den „Singapur Issues“, die ihren Mitgliedsländern Investitionen erleichtern sollte – und versucht nun mangels WTO-Einigung auf Regionalabkommen auszuweichen.
Hilde Wipfel ist Expertin für Entschuldungsfragen und arbeitet bei der KOO-Stelle der österreichischen Bischofskonferenz.